Zora Zine| interview | Marc Leclair aka AKUFEN
Musique pour 3 femmes enceintes | Musik allgemein
 

„Ein feines Gehör auszubilden dauert ein ganzes Leben“

>> „Musique pour 3 femmes enceintes“ ist also von der Schwangerschaft dreier Freundinnen von Dir angeregt worden. Wie hast Du versucht, diesen Prozess in Musik zu übertragen: Hattest Du ein Konzept, eine Leitidee?
MARC LECLAIR: Eigentlich war das Grundkonzept ganz einfach, drei Fauen, die zugleich drei enge Freundinnen sind, eine Hommage zu erweisen. Eine von ihnen ist die Taufpatin und eine andere die Frau des Taufpaten unseres eigenen Kindes. Warum wollten wir ihnen diese Hommage erweisen? Erstens, weil alle drei die gute Nachricht mit nur wenigen Wochen Abstand bekommen haben. Zweitens, weil die drei eine enge Freundschaft verbindet und drittens, weil eine von ihnen seit Jahren als steril diagnostiziert war und somit eigentlich keinerlei Möglichkeit hatte, Mutter zu werden. In diesem Fall kann man fast von einem Wunder sprechen. Ohne die Verbindung von zweien von ihnen zu unserer Tochter Pétronille zu vergessen. Alle diese Zufälle und natürlichen Überschneidungen und darüber hinaus der bloße Gedanke, dass meine Generation, die Generation X genannt wird, sich ebenfalls in die Zukunft projizieren will, haben mich sehr bewegt und mich mit neuer Hoffnung erfüllt.
Nun, die Struktur des Werkes wurde ganz offensichtlich in neun Stücke unterteilt, die die neun Monate der Schwangerschaft versinnbildlichen. Diese Rechnung ist leicht gemacht. Bekanntlich ist Schwangerschaft ein Thema, bei dem man schnell in Klischees verfallen kann. Es braucht aber auch nicht viel, um in die totale Abstraktion abzudriften, und das wäre genauso dumm, denn letztendlich richtet sich die Platte an bestimmte Personen.
Jedes der neun Stücke wurde selbstverständlich von der Entwicklung des Eis von seiner Befruchtung an bis zur Geburt inspiriert. Als Pascale (meine Frau) schwanger wurde, hab ich mir wie jeder gute, leicht verrückte Familienvater eine Vielzahl wissenschaftlicher Magazine besorgt, um mehr über diese eher ungewöhnliche Entwicklung zu erfahren. Bis man sich dafür interessiert, bleibt sie ja eher ein Mysterium. Dennoch wollte ich dieses Album nie übertrieben vergeistigen. Ich wollte, dass es einfach und intim wird, wie sein Thema. Ich wende mich an Mütter, Väter und sogar an Kinder... Mehr noch, ich möchte diejenigen anregen, denen der Gedanke an ein Kind noch gar nicht gekommen ist. Aber all das soll natürlich geschehen. Diese Idee ist vor fünf Jahren entstanden. Ich habe mir reichlich Zeit genommen, um sie reifen zu lassen und sie zu verfeinern.

>> Könntest Du „Musique...“ in Deine bisherige künstlerische Arbeit einordnen? Es ist so: Als ich „My Way“ zum ersten Mal gehört habe, war ich über einige eher „Ambient“-artige Stücke überrascht, weil ich vor allem die Maxis mit dem berühmten Microsampling kannte. Kanadische Musiker haben mir dann aber erzählt, dass Du schon sehr lange Musik machst und diese Tendenz immer schon da war... Gibt es eine Kontinuität?
MARC LECLAIR: Eine Sache finde ich traurig in der Musik heutzutage und insbesondere in der sogenannten elektronischen Musik: Viele Künstler arbeiten unter Druck, weil die Nachfrage groß und sie sich somit dauernd neu erfinden müssen, um nicht in Vergesseheit zu geraten. Das führt dazu, dass diese sogenannte Tanzmusik leider kurzlebig ist und man nur die Spitze des Eisbergs kennt. Viele profilierte Künstler veröffentlichen heute ihre Werke unter verschiedenen Pseudonymen, so dass von den meisten von ihnen nur ein winziger Teil gehört werden wird. In meinem Fall kennt man mich entweder durch „My Way“ und meine Maxis, oder durch meine Remixe. Abgesehen von einigen treuen Seelen habe ich selten Leute getroffen, die meine ganze Discographie kannten, anderen Künstlern geht es genauso, zum Beispiel Atom Heart oder Matthew Herbert, die allein genug Musik produziert haben, um einen ganzen Laden zu füllen.
Microsampling ist nur eine Facette meiner Arbeit. Diese künstlerische Identität ist nun sehr ausgereift, ich bin aber noch nicht mit ihr fertig. Deshalb wird Akufen mein Laboratorium für Sampling-Experimente bleiben, weil das für mich die größte Bandbreite an ungewöhnlichen und unerschöpflichen Klangquellen bleibt. Aber ich habe mehr als nur eine Sache auf dem Kasten. Ich war mein ganzes Leben lang ein hungriger afficionado von Musik in ihrer Gesamtheit und schöpfe meine Inspiration aus allen ihren Teilen. Ob es nun Jazz, Rock, Barock oder Country ist, für mich hängt die Zukunft der Musik von ihren Hybridformen ab, von der Fusion unterschiedlicher Musikgenres sowie von der Dekonstruktion bereits bekannter Strukturen. Ich predige die Anarchie in und durch die Kunst, das spornt mich an, weiter zu machen. Wenn ich mich damit zufriedengeben muss, eine blasse Kopie meiner selbst zu werden, ziehe ich mich lieber zurück.

>> Welchen Einfluss hatten andere Künstler auf diese Platte? Ich bin zwar kein Spezialist, aber ich höre sogar ein wenig Steve Reich bei „150e jour“...
MARC LECLAIR: Da hast Du richtig gehört. Steve Reich ist eine der hervorstechenden Figuren in meiner musikalischen Welt. Das ist ein guter Typ. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber seine Musik und seine Interviews strahlen etwas wirklich Gutes aus, vor allem etwas einfaches, was direkt auf den Punkt kommt. Spontaneität war für mich immer eine goldene Regel. Bei all dem Respekt und der Berühmtheit, die er geniesst, glaube ich nicht, dass Steve Reich arrogant wird. Das ist die Geschichte von einem Typ, der Musik machen will, weil ihn das mit sich selbst und der Welt am meisten in Einklang bringt. Bei einem Gespräch hat er folgendes gesagt, und das zitiere ich, weil der Satz zugleich sehr einfach und sehr bezeichnend ist: „It ain't what you do, it's how you do it“. Wenn so ein Satz von einem Typ wie Steve Reich kommt, stopft das den Angebern das Maul und bestärkt jene Leute, die so eine Bescheidenheit haben.
Die Künstler beschränken sich zu oft auf das Bla-Bla und auf die Instrumente, die sie benutzen, dabei zählt am Ende doch nur das Resultat. Die Instrumente, die die elektronischen Musiker zur Verfügung haben, sind meiner bescheidenen Meinung nach nicht mehr transparent genug. Ich meine, dass sie keinen Platz mehr für Kreativität und Fantasie lassen. Du machst eine Session in Reaktor auf und Bumm die Demo des Unternehmens klingt schon richtig gut. Also, wenn die Programmierer kreativer sind als die Anwender, bekommen wir Probleme. Alles ist schon mundgerecht vorbereitet. Die Musiker müssen dosieren lernen und vor allem, die Spuren zu verwischen. Ich für meinen Teil verwende Mac, PC und Atari und bastele soviel wie möglich, um die Spuren der verwendeten Werkzeuge zu verwischen. Die Künstler, deren Musik ich niemals entschlüsseln konnte, haben mich immer fasziniert. Ansonsten haben mich bei dieser Platte Burger/Ink, Gas und Moritz von Oswald inspiriert, was die jüngeren angeht, darüber hinaus Steve Reich, Philip Glass und Reload, eine Formation aus den 90ern mit Mark Pritchard und Tom Middleton.

>> Um „Musique...“ in Ruhe anzuhören, hatte ich das Album zu einem Wochenendaufenthalt auf dem Land mitgenommen. Eine Freundin, die in Sachen elektronische Musik gänzlich unbefleckt ist, mochte es auch, sagte aber, sie könne keinen Unterschied zu gewissen Platten mit Meditationsmusik erkennen, die sie von ihren Eltern kenne. Bei allem Respekt: Was würdest Du antworten?
MARC LECLAIR: Ich würde es mir nie erlauben, jemanden Vorwürfe zu machen oder zu verurteilen, solange er seinen Kommentar mit Respekt macht un der seine Berechtigung hat. Die Leute haben das Recht, etwas nicht zu kennen und haben vor allem ein Recht auf ihren eigenen Geschmack. Diese Bemerkung Deiner Freundin ist vollkommen gerechtfertigt, denn er steht wahrscheinlich für die Meinung von vielen. Das Genre Ambient hat in den letzten Jahren viel Erfolg eingebüsst. Man spricht eher von „Glitchy“-Musik oder von „Clicks and Cuts“. Und in diesem Vergleich ist wirklich nichts neues. Vor zwanzig Jahren konnten die Leute nicht zwischen Jean-Michel Jarre und einer Musik unterscheiden, die sich ans Unterbewusstsein richtete, um das Rauchen aufzuhören. New Age hat das Image von Ambient Music getrübt, weil es sie in Richtung Muzak (funktionale bzw. Kaufhausmusik) zog. Das ist bedauerlich, aber so ist es nun einmal. Ein feines Gehör auszubilden dauert ein ganzes Leben. Was ich vor zwanzig Jahren gehört habe, ist nicht mehr ganz dasselber wie heute. Die Musik verändert sich, die Einflüsse bleiben.
Eins ist sicher: Ich finde Puristen fürchterlich, die ihre Ignoranz durch ihren Snobismus rechtfertigen. Das stinkt zum Himmel und zeigt eine große Engstirnigkeit. Wenn man Musik mag, muss man sie als Ganzes sehen, ohne sie abzuurteilen.

>> Auf der CD sind Logos von Institutionen aus Kanada und Québec, die die Platte gesponsert haben. In der Welt der elektronischen Musik ist das eher selten: Reicht Qualität allein nicht aus, um Erfolg zu haben?
MARC LECLAIR: Ich persönlich war noch nie für die Institutionalisierung von Kunst und habe mich darauf versteift, keinerlei Subventionen vom Staat anzunehmen. Für mich bedeutet das, Künstler in eine Abhängigkeitssituation zu bringen und sie zu entmutigen. Warum der und ich nicht? Ich verdanke meinen Erfolg nur meiner kontinuierlichen Arbeit und den Leuten, die mich über all die Jahre so großzügig unterstützt und ermutigt haben. Jetzt gefällt es der Regierung, Künstler zu unterstützen, die sie nicht versteht, weil sie sich als Mutter Theresa profilieren will. Deswegen sind unsere Produkte mit diesen kleinen Logos übersät. Um uns bei der Regierung dafür zu bedanken, dass sie uns unser ganzes Leben lang runtergemacht und bestohlen hat. Und nun sollte ich dankbar sein? Das ist nicht mein Ding.
Mutek braucht diese Subventionen und ich verstehe auch die noble Geste, dass sie den von ihnen eingeladenen Künstlern als Unterstützung und Anerkennung eine symbolische Summe geben wollen. Aber ich bin weiterhin gegen diese heuchlerische Vorgehensweise der Regierungen. Um so mehr, als man die Künstler auf vielen anderen Ebenen ihrer Lebensgrundlage beraubt. Sie werden zum Beispiel aus ihren Ateliers vertrieben, um Luxusappartements zu bauen, für die man eher das Gehalt eines Mäzens als das eines Künstlers braucht. Ich weiß, dass man uns fast überall um die finanzielle Unterstützung beneidet, die die Regierung den Künstlern hier zukommen lässt, aber ich glaube wirklich, dass es der Kunst besser ging, als sich die Künstler durchschlugen wie es eben ging.
Viele Künstler leben davon und es beeintächtigt für mich weder sie selbst noch das, wofür sie stehen. Es ist in Ordnung, aber das verleiht dem Staat einmal mehr ein Kontrollinstrument und schafft eine Abhängigkeit. Ich kenne Künstler, die eine Depression kriegen, wenn sie ihre Subvention nicht bekommen. Die Regierung sollte in ein besseres Ausbildungs- und Gesundheitssystem investieren, dann würde es der Kunst viel besser gehen.

>> interview: olian